Zum
Sachverhalt
Im Jahre 1973 oder 1974 lernte der
Angeklagte in einer Diskothek die 1951 geborene Zeugin H kennen, die
"damals noch eine unselbständige und komplexbeladene junge
Frau" war. Sie entwickelte zu dem vier Jahre älteren Angeklagten
eine intensive Freundschaft, in der sexuelle Kontakte unwesentlich
blieben. Gegenstand der Beziehung waren hauptsächlich Diskussionen über
Psychologie und Philosophie, die bei Treffen im Abstand von einigen
Monaten und bei häufigeren, manchmal mehrere Stunden dauernden
Telefongesprächen geführt wurden. Im Laufe der Zeit wurde der Angeklagte
zum Lehrer und Berater der Zeugin in allen Lebensfragen. Er war immer für
sie da. Sie vertraute und glaubte ihm blindlings. Im Verlaufe ihrer
zahlreichen philosophischen Gespräche ließ der Angeklagte die Zeugin
wissen, er sei ein Bewohner des Sterns Sirius. Die Sirianer seien eine
Rasse, die philosophisch auf einer weit höheren Stufe stehen, als die
Menschen. Er sei mit dem Auftrag auf die Erde gesandt worden, dafür zu
sorgen, dass einige wertvolle Menschen, darunter die Zeugin, nach dem völligen
Zerfall ihrer Körper mit ihrer Seele auf einem anderen Planeten oder dem
Sirius weiterleben könnten. Damit sie das Ziel erreiche, bedürfe die
Zeugin allerdings einer geistigen und philosophischen Weiterentwicklung.
Als der Angeklagte erkannte, dass ihm
die Zeugin vollen Glauben schenkte, beschloss er, sich unter Ausnutzung
dieses Vertrauens auf ihre Kosten zu bereichern. Er legte der Zeugin dar,
sie könne die Fähigkeit, nach ihrem Tode auf einem anderen Himmelskörper
weiterzuleben, dadurch erlangen, dass sich der ihm bekannte Mönch Uliko für
einige Zeit in totale Meditation versetze. Dadurch werde es ihrem Körper
möglich, während des Schlafens mehrere Ebenen zu durchlaufen und dabei
eine geistige Entwicklung durchzumachen. Dafür müsste allerdings an das
Kloster, in dem der Mönch lebe, 30000 DM gezahlt werden. Die Zeugin
glaubte dem Angeklagten. Da sie nicht genügend Geld besaß, beschaffte
sie sich die geforderte Summe durch einen Bankkredit. Der Angeklagte
verbrauchte das Geld für sich. Sooft sich die Zeugin in den folgenden
Monaten nach den Bemühungen des Uliko erkundigte, vertröstete sie der
Angeklagte.
Später erklärte er ihr, der Mönch
habe sich bei seinen Versuchen in große Gefahr begeben, gleichwohl aber
keinen Erfolg erzielt, weil ihr Bewusstsein eine starke Sperre gegen die
geistige Weiterentwicklung aufbaue. Der Grund dafür liege im Körper der
Zeugin; die Blockade könne nur durch die Vernichtung des alten und die
Beschaffung eines neuen Körpers beseitigt werden.
Als der Angeklagte bemerkte, dass die
Zeugin von der Richtigkeit seiner Erklärungen noch immer völlig überzeugt
war, fasste er den Plan, aus ihrem Vertrauen weiteren finanziellen Nutzen
zu ziehen. Der Angeklagte spiegelte ihr vor, in einem roten Raum am Genfer
See stehe für sie ein neuer Körper bereit, in dem sie sich als Künstlerin
wiederfinden werde, wenn sie sich von ihrem alten Körper trenne. Auch in
ihrem neuen Leben benötige sie jedoch Geld. Es lasse sich dadurch
beschaffen, dass sie eine Lebensversicherung über 250.000,‑ DM (bei
Unfalltod 500.000,‑ DM) abschließe, ihn unwiderruflich als
Bezugsberechtigten bestimme und durch einen vorgetäuschten Unfall aus
ihrem "jetzigen Leben" scheide. Nach Auszahlung werde er ihr die
Versicherungssumme überbringen.
Die Zeugin schloss einen
Versicherungsvertrag entsprechend den Vorschlägen des Angeklagten ab. Der
Versicherungsschutz begann ab 01.12.1979. Die monatliche Versicherungsprämie
belief sich auf 587,50 DM. Dem Angeklagten händigte die Zeugin
4.000,‑ DM in bar aus, weil sie, wie er ihr sagte, nach dem Erwachen
am Genfer See das Geld, das er ihr sofort überbringen werde, als
"Startkapital" benötige. Die Auszahlung der Versicherungssumme
könne sich verzögern. Ihr "jetziges Leben" sollte die Zeugin
nach einem ersten Plan des Angeklagten durch einen vorgetäuschten
Autounfall, nach einem späteren Plan dadurch beenden, dass sie sich in
eine Badewanne setzte und einen eingeschalteten Fön in das Badewasser
fallen ließ.
Auf Verlangen und nach den Anweisungen
des Angeklagten versuchte die Zeugin, diesen Plan am 01.01.1980 in ihrer
Wohnung in W. zu realisieren, nachdem sie zuvor, einer Anregung des
Angeklagten folgend, einige Dinge getan hatte, die darauf hindeuten
sollten, dass sie ungewollt mitten aus dem Leben gerissen worden sei.
Der tödliche Stromstoß blieb jedoch
aus. Aus "technischen Gründen" verspürte die Zeugin nur ein
Kribbeln am Körper, als sie den Fön eintauchte. Der Angeklagte, der sich
in B. aufhielt, war überrascht, als die Zeugin seinen Kontrollanruf
entgegennahm. Etwa 3 Stunden lang gab er ihr in etwa zehn Telefongesprächen
Anweisungen zur Fortführung des Versuchs, aus dem Leben zuscheiden. Dann
nahm er von weiteren Bemühungen Abstand, weil er sie für aussichtslos
hielt.
Die Zeugin handelte in völligem
Vertrauen auf die Erklärungen des Angeklagten. Sie ließ den Fön in der
Hoffnung ins Wasser fallen, sofort in einem neuen Körper zu erwachen. Der
Gedanke an einen "Selbstmord" im eigentlichen Sinn, durch den
"ihr Leben für immer beendet würde", kam ihr dabei nicht. Sie
lehnt eine Selbsttötung ab. Der Mensch habe dazu kein Recht. Dem
Angeklagten war bewusst, dass das Verhalten der ihm hörigen Zeugin ganz
von seinen Vorspiegelungen und Anweisungen bestimmt wurde.
Das LG hat den Angeklagten wegen
versuchten Mordes, Betrugs, sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung
in Tateinheit mit unbefugter Führung akademischer Grade und einem
Vergehen gegen das Heilpraktikergesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
sieben Jahren verurteilt. Die Revision hatte keinen Erfolg.
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Aus
den Gründen
...
II. Die Revision trägt vor, der
Angeklagte sei zu Unrecht wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft
verurteilt worden; es könne nur straflose Beteiligung am versuchten
Selbstmord in Betracht gezogen werden. Der Schuldspruch ist jedoch nicht
zu beanstanden.
1. Die Frage der Abgrenzung
"strafbarer Tötungstäterschaft von strafloser Selbsttötungsteilnahme"
(Roxin, in: Festschr. f. Dreher, S. 332) kann in Fällen, in denen
derjenige, der unter dem Einfluss oder unter der Mitwirkung eines anderen
Hand an sich legt, weder einen der psychischen Zustände aufweist, die '
20 StGB nennt, noch sich in einer Notstandslage i. S. von ' 35 StGB befindet, sondern
durch Täuschung zur Vornahme der Tötungshandlung bewogen wird, nicht
abstrakt beantwortet werden. Die Abgrenzung hängt im Einzelfall von Art
und Tragweite des Irrtums ab. Verschleiert er dem sich selbst ans Leben
Gehenden die Tatsache, dass er eine Ursache für den eigenen Tod setzt,
ist derjenige, der den Irrtum hervorgerufen und mit Hilfe des Irrtums das
Geschehen, das zum Tod des Getäuschten führt oder führen soll, bewusst
und gewollt ausgelöst hat, Täter eines (versuchten oder vollendeten) Tötungsdelikts
kraft überlegenen Wissens, durch das er den Irrenden lenkt, zum Werkzeug
gegen sich selbst macht (Bottke, GA 1983, 31; Jähnke, in: LK, Vorb. ' 211 Rdnrn. 25
und 26; Lackner, StGB, 15. Aufl., Vorb. ' 211 Anm. 3b;
Roxin, in: LK, ' 25 Rdnr. 83;
Samson, in: SKStGB, ' 25 Rdnr. 30).
2. So liegt es hier. Nach den
Feststellungen des Tatgerichts spiegelte der Angekl. seinem Opfer nicht
vor, es werde durch das Tor des Todes in eine transzendente Existenz
eingehen, sondern versetzte es in den Irrtum, es werde ‑ obgleich es
scheinbar als Leichnam in der Wanne liege ‑ zunächst als Mensch
seinen irdischen Lebensweg fortsetzen, wenn auch körperlich und geistig
so gewandelt, dass die Höherentwicklung zum astralen Wesen gewährleistet
sei. Die Überzeugung, dass ihre physisch‑psychische Identität und
Individualität lediglich Modifikationen erfahre, ergab sich für Frau H
nicht nur daraus, dass sie, wie ihr der Angeklagte sagte, auf diesem
Planeten verblieb und Geld zur Deckung ihres Lebensbedarfs brauchte,
sondern auch daraus, dass er ihr vormachte, sie werde im roten Raum am
Genfer See Beruhigungspillen und im Nebenzimmer die erforderlichen Papiere
finden. Was Frau H nicht ahnte und wollte, erstrebte der Angeklagte: Der von beiden als sicher erwartete Stromstoß sollte dem
Leben der Getäuschten ein Ende setzen und dem Angeklagten die
Versicherungssumme verschaffen, von der sein Opfer annahm, sie sei die
wirtschaftliche Grundlage des neuen Lebensabschnitts. Der Angeklagte, der
auch das eigentliche Tatgeschehen durch stundenlang erteilte Anweisungen
maßgeblich steuerte, beging infolgedessen ein Verbrechen der versuchten
mittelbaren Fremdtötung. Diese rechtliche Feststellung wird nicht dadurch
in Frage gestellt, dass Frau H völlig unglaubhaften Suggestionen erlag,
obwohl sie keine psychischen Störungen aufwies. Der Angeklagte hatte sich
die Psyche seines Opfers für diese Suggestionen erschlossen. Das
Erstaunliche dieses Vorgangs entlastet ihn nicht.
3. Auch wenn Frau H angenommen hätte,
dass dem "Erwachen" in einem roten Raum am Genfer See ihr Tod
vorausgehen müsse, dass sie in ein Leben nach dem Tode eintreten werde,
das sie nicht in Fortsetzung ihrer (nur mehr oder weniger modifizierten)
Individualität, sondern als ein anderes (höheres) Wesen zu führen habe,
bestünde die Verurteilung des Angeklagten zu Recht. Auch im Falle eines
so beschaffenen Irrtums ginge es nicht darum, ob der Angeklagte das Opfer
nur über den "konkreten Handlungssinn" getäuscht oder einen
"bloßen Motivirrtum" hervorgerufen habe und ob ein solcher
Irrtum ausreicht, um seine Tatherrschaft zu begründen (vgl. dazu Roxin,
in: LK, '
25 Rdnr.83 m. w. Nachw.; Samson, in: SKStGB, '
25 Rdnr. 30 m. w. Nachw.). Der Täuschung über den "konkreten
Handlungssinn" wäre die Vorspiegelung immanent, dass der Tod nichts
anderes als der Beginn neuen Lebens sei. Der darauf beruhende Irrtum hätte
das Gewicht des Irrtums über den Nichteintritt des Todes. Nicht weniger
als dieser hätte jener das Opfer ausschlaggebend motiviert und dem
Angeklagten Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens eingeräumt.
4. Die Ansicht des Tatgerichts, dass
der Angeklagte die Tötung eines Menschen aus Habgier herbeiführen
wollte, deshalb wegen versuchten Mordes zu verurteilen sei, und die
Strafzumessung sind nicht zu beanstanden.
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